Freitag, 19. November 2010

Erotische Kochlöffel und die Kohäsion der Alten


Schon das letzte mal, als Fidesz an der Macht war - von 1998 bis 2002 - gelang den Mannen, die gerne Fußballspielen und Andersdenkende gerne am Strick baumeln sehen würden (besonders der heutige Parlamentspräsident Kövér), neben dem Széchenyi-Plan (Werbespruch: „Wagen wir, groß zu sein!”), eine geniale Sache im Zusammenhang mit „Zivilen”, d.h. Nichtregierungsorganisationen. Sie wurden in den Radio- und Fernsehrat (der ung. Zensurbehörde) gerufen und durften fleißig mitbestimmen. So saßen alle möglichen eigenartigen Vereine in diesem Rat, der streng und der „bürgerlichen Moral” entsprechend, mit den Fernseh- und Radiosendern umgeht. Die Eingaben, die behandelt werden, beruhen auf Anzeigen von Privaten - das alte Spitzelsystem funktioniert nach wie vor großartig. Eine Bekannte arbeitete dereinst beim Paprika TV, einen Privatsender, der 18 Std. am Tag nur verschiedene Kochsendungen und Dokumentationen über das Essen in verschiedenen Ländern ausstrahlt: Und allen Ernstes erhielten sie mehrere Male Anzeigen. Einmal, weil eine Köchin den Kochlöffel "erotisch abgelutscht” hätte (die Fälle sind auf der Homepage des Radio- und Fernsehrates – ORTT – dokumentiert, ich habe diese Anzeige mit eigenen Augen gelesen); nun also: in diesen Rat hat man auch NGOs berufen, und fortan haben Bogenschützen und BMX-Fahrer, wenn ich mich recht erinnere, waren auch die Philatelisten einmal drinnen, Wächter über die TV-Moral Ungarns gespielt. Wenn das nicht Republik Schilda in seiner pursten Form ist.

2010 wegen überbrandendem Desinteresse der Wähler wieder an der Macht und wegen der Eigenheiten des ungarischen Wahlsystems, obwohl mit nur 53% der Stimmen gewählt, trotzdem im Besitz einer Zweidrittelmehrheit im Parlament, hat sich Fidesz nur die völlige Veränderung, die Revolution an die Fahnen geheftet - was wohl bedeuten soll, daß sie es selbst auch von 1998-2002 scheiße gemacht haben; eine Medienpolizei hat man schon beschlossen (sie wird auch das Internet kontrollieren), das Staatsbürgergesetz ist großzügiger geworden, das Wahlgesetz wurde dahingehend verändert, dass kleinen Parteien schon gar nicht zur Wahl antreten und großwerden können – jetzt hat man sich in den Kopf gesetzt, die Verfassung neu zu schreiben. Dies geschieht im „System der Nationalen Zusammenarbeit”, d.h. gemeinsam mit den Briefmarkensammlern.
Spott beiseite, denn der ist ab hier nicht mehr notwendig, schauen wir uns an, was die diversen Kirchen und Organisationen alles in der Verfassung sehen wollen:

Ehe, Familie

Die evangelische Kirche will die „monogame Ehe” und eine Erklärung zum Schutz der Familie in der Verfassung wissen; sie hält auch dezidiert fest, dass sie weder die polygame Ehe noch die Ehe Gleichgeschlechtlicher akzeptiert.
Für die ungarische katholische Kirche muss die Institution der Ehe in der Verfassung festgehalten und dadurch gestärkt werden, da sich andere Arten von Partnerschaften extrem ausbreiten. Das Grundgesetz hat auch die Klausel zu enthalten, dass Familien, besonders welche mit vielen Kindern, Anspruch auf Schutz und Obsorge haben.
Die KDNP (Christdemokratische Volkspartei – die sich dafür stark macht, dass auch im ungarischen (staatlichen und privaten) Fernsehen die heilige Institution der Ehe nicht schlecht gemacht werden darf) bat den Nationalen Verband der Großfamilien (NOE) um Stellungnahme: Der Verband besteht darauf, dass neben dem Schutz der Ehe und Familie in der Verfassung auch deklariert wird: Die Ehe ist eine dauerhafte Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau, und ihr Zweck ist die Geburt und Erziehung von Kindern.
Weiters soll festgehalten werden, dass der Staat die Familien mit mehr Kindern von den großen finanziellen Lasten befreit. Und auch ein Recht auf Wohnung sollte als Grundrecht bedacht werden.

Wahlrecht für Kinder

NOE hat einen weitern, doch eher erstaunlichen Vorschlag: Es sollte in der neuen Verfassung ein allgemeines Wahlrecht unabhängig vom Alter verankert werden. Das Stimmrecht der Kinder würde bis zur Volljährigkeit von den gesetzlichen Vertretern ausgeübt.
Sonntag
Die Katholiken wollen den Sonntag als arbeitsfreien Tag in der Verfassung verankert wissen; denn laut ihnen hängt der Sonntag mit dem Schutz der Familien und dem Recht der freien Religionsausübung zusammen.

Die „heilige“ Stephanskrone

Mehrere Organisationen sind überzeugt, dass die „Heilige Krone“ in die Verfassung aufgenommen werden müsse: Die ungarische evangelische Kirche würde die Präambel der Verfassung folgendermaßen beginnen: "Mit dem Dank des Volkes für das tausendjährige Ungarn, das von der uralten Krone der ungarischen Könige symbolisiert wird..."
Von der Partei Jobbik wurde der Weltbund der Ungarn hinzugezogen, dieser sieht die Chance zur Wiederherstellung der historischen ungarischen Verfassung, in deren Mittelpunkt die „Heilige Krone“ stand.
Der Batthyány Kreis der Professoren (eine Zusammenballung von rechten Akademikern) meint, dass die Präambel des neuen Grundgesetzes auf die „historische Kontinuität von Ungarns Verfassungsmäßigkeit, die nationale Unabhängigkeit und die lange Tradition der Achtung der Freiheiten des Individuums“ verweisen müsse, und auch auf die „Heilige Krone als Symbol der nationalen Einheit“.
Laut des Nationalen Bürgerlichen Rentnervereins, der von Fidesz um eine Stellungnahme gebeten wurde, muss die neue Verfassung die „Wiederbelebung der Rechtsnachfolge der Freien Verfassung Ungarns, die auf den Idealen der Heiligen Krone aufbaut“, enthalten [was immer das bedeuten mag]. Dementsprechend würde die neue Verfassung die „Freiheit des Staates“ proklamieren und die „Freiheit der Mitglieder der Heiligen Krone“. Ein Mitglied der Heiligen Krone ist ein Mitglied der staatsbildenden ungarischen Nation, egal wo es lebt auf der Welt [oder im Universum], sowie die Mitglieder der staatsbildenden Nationen, wenn sie auf dem Gebiet des Staates der „Heiligen Krone“ leben. In der Stellungnahme wird gesondert darauf hingewiesen, dass jene, die nicht Mitglieder der Heiligen Krone sind, im Staat der Heiligen Krone nur Gäste sind. [In Ungarn gibt es eine Pseudowissenschaft, die sich Wissenschaft der Heiligen Krone nennt. Sie zeitigt Auswüchse wie: Die Krone ist eine Antenne, mit der jener, der sie trägt, kosmische Energie und Weisheit empfängt usf. Für mich ist diese Gastsache, die gesondert erwähnt wird, ganz klar ein Verweis auf die Juden und die Zigeuner, die haben demnach im Karpatenbecken nix verloren.]
Auch der Staatliche Rechnungshof hat sich bemüßigt gefühlt, Vorschläge für die Verfassung einzubringen: „In der neuen Verfassung Ungarns ist es notwendig, auf die Heilige Krone zu verweisen, auf den christlichen Einfluss bei der Herausbildung einer nationalen moralischen Haltung sowie auf die Idee der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“

Kirchen

Die verschiedenen Kirchen wollen alle auf irgendeine Art Gott in der Verfassung sehen, allein die Juden treten dafür ein, dass festgehalten werden solle, dass es "historische Kirchen" UND andere Glaubensgruppen gibt. Die christlichen Kirchen wollen eine Ausschließlichkeit der „historischen Kirchen“ im neuen Grundgesetz verankert wissen und reden von „Gewissen und Moral“, die durch die Verfassung gestärkt werden sollen.

Staatspräsident

Der Batthyány Kreis der Professoren schlägt vor, den Staatspräsidenten mit einem Vetorecht auszustatten, das viel weit reichender sein sollte als bisher. Er müsste ein Gesetz, das er für verfassungswidrig hält, nicht unterschreiben, auch nicht nach einem Beharrungsbeschluss des Parlaments. [Der Staatspräsident ist ja kein Problem mehr, hat man sich doch den hündisch dienenden Pál Schmitt erwählt, der inzwischen nicht einmal mehr wartet, daß man ihm die Gesetze in seinen Amtssitz zustellt, sondern jede Woche mal zum Unterschreiben im Parlament vorbeischaut.]
Ungarn jenseits der Grenzen, Székler
Die Partei Jobbik forderte den Székler Nationalen Rat zur Stellungnahme auf, dieser ist der Ansicht, dass in der Präambel der Verfassung auf jeden Fall auf das Ungarn des Hl. Stephan hingewiesen werden müsse, auf die Komitate und die Székler Stühle [historische Verwaltungseinheiten]. Er fordert die Macher des Grundgesetzes auf, daß im Text stehen müsse: Die Ungarische Republik übernimmt die Verantwortung für das Schicksal der Ungarn, die außerhalb des Vaterlandes leben, und fördert die Pflege der Beziehung zwischen den Széklern und dem Vaterland.

Gewerkschaften, Interessensvertretungen

Die MSZP [die Sozialisten] ersuchten den Ungarischen Gewerkschaftsbund (MSZOSZ) um Stellungnahme, dieser meinte, daß jene Rechte zum Schutz der Bürger und Arbeitnehmer bzw. deren Vertreter, die jetzt schon in der Verfassung stehen, gewahrt bleiben müßten. Auch solle die neue Verfassung detailliert auf die Verpflichtungen des Staates den Arbeitnehmern gegenüber eingehen, die Rechte der Arbeitnehmer enthalten, die Freiheit der Gewerkschaften garantieren und ein Recht zur Sozialversicherung einführen. Der MSZOSZ tritt auch für ein Recht auf Widerstand ein, ein Recht der Obdachlosen, bei der Schaffung eines Eigenheims unterstützt zu werden, das Recht auf den Schutz der persönlichen Daten in Hinblick auf elektronische Erfassung. Weiters wurde ein Recht auf Information bezüglich Daten von öffentlichem Interesse angedacht, ein Verbot aller paramilitärischen Verbände und ein Verbot des Verleihens und Tragens von Adelstiteln.

Senioren

Der Ungarische Verband der Rentnervereine (NYOSZ) möchte, daß die Verfassung widerspiegelt, daß die ältere Generation ein geschätzter und geachteter Teil der Gesellschaft ist, dem durch positive Diskriminierung geholfen werden muß. Die Interessen der Pensionisten sollten von einem Rat für Seniorenangelegenheiten vertreten werden, und auf jeden Fall muß im Grundgesetz stehen: „Die Älteren sind ein außergewöhnliches Bindemittel für die Verstärkung der gesellschaftlichen Kohäsion."

Nachhaltige Entwicklung

Der Bund der Ungarischen Umweltschützer (MTVSZ) hält für wichtig, dass in der neuen Verfassung festgehalten wird: Die Republik Ungarn will die Ziele einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung verwirklichen. Es sollten auch die Wohlstandswerte, die zur Verwirklichung der Nachhaltigkeit notwendig sind, aufgeführt werden: die Erhaltung der Gesundheit, die gesunde Umwelt, Autonomie, Selbstwert, die Wichtigkeit familiärer Beziehungen, die Achtung des Lebens, der Glaube sowie die Möglichkeit für jeden, natürliche Ressourcen nützen zu können. Der MTVSZ meint weiters, daß die Verfassung enthalten müßte, daß die Naturschätze das gemeinsame Erbe der Menschheit sind, deswegen können sie auch nur von einer Gemeinschaft und nicht von einem einzelnen besessen werden, und sie dürfen auch nur dem Wohl der Gemeinschaft dienen.

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

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